(M)Eine unerwartete Liebeserklärung

von Dominik Röttgers

Ich bin verliebt. Und alles passt perfekt! Okay, er ist 14 Jahre jünger, was uns jedoch in keiner Weise juckt. Er hat einen großartigen Charakter. Mit seinen 21 Jahren ist er sehr reif. Zugegeben, hin und wieder piesackt er mich mit seiner jugendlichen Forschheit, zum Beispiel wenn ich wieder zu scharfes, knoblauchlastiges Essen zu Mittag hatte. Solche kleinen Kratzer kann ich ihm jedoch nicht übel nehmen, weil er es durch seine süße Art sofort wieder schafft, mich zu besänftigen. Er riecht gut, hat einen wundervollen Körper und schmeckt so unglaublich anregend, dass ich kaum genug von ihm kriegen kann. Am liebsten schaue ich ihn über Stunden an, sauge seinen Duft in mich auf und liebkose ihn mit meinen Lippen und meiner Zunge. In diesen Momenten reden wir nicht, sondern gehen einfach ineinander auf, wie es Liebende eben tun.
Und dann überkommt es mich manchmal und ich verschlinge ihn, ohne Rücksicht auf Verluste geben wir uns einander hin, wild und leidenschaftlich und fast schon auf zerstörerische Art bringt er mich mit seiner Stärke an den Rand der Besinnungslosigkeit, nur um dann wieder in innigem Verständnis für einander in wohlige Entspannung zu entgleiten. Jedes Mal, wenn er gegangen ist, verzehre ich mich schon wieder nach ihm und versuche den letzten Moment seiner Anwesenheit so lange wie möglich präsent zu halten, nachwirken zu lassen und zu genießen.

Sein Name ist Glen. Seine Weltgewandtheit, sein Savoir-vivre hat sicherlich mit seiner Herkunft zu tun. Seine Eltern bringen einen französischen und amerikanischen Hintergrund in seine britische Sozialisation. Der französische Charme, die amerikanische Leichtigkeit und sein Auftreten ganz im Habitus des britischen Gentleman machen ihn zu einer idealen Begleitung für jeden Anlass.
Mit 21 hat er sich im deutschsprachigen Raum niedergelassen, um seine Talente gewinnbringend einsetzen zu können. Und sein beruflicher Erfolg, seine Karriere bezeugen, dass dies die richtige Entscheidung war. Dass sich das private Glück für uns beide zusätzlich finden ließ, ist das Sahnehäubchen auf diesem süßen Fruchttörtchen. Natürlich gibt es auch Zeiten, in denen ich ihn nicht sehen, mich nicht mit ihm beschäftigen möchte. Seine natürliche, ihm innewohnende Stärke und Standhaftigkeit zwingt mich manchmal, einen Gang zurück zu schalten, mich zu setzen und von ihm abzusetzen. Die Energie und die Hitzigkeit, die er ausstrahlt und von morgens bis abends auslebt, ist mir hin und wieder zu viel. Insbesondere kurz nach dem Aufstehen überfordert er mich mit dieser Kraft und mit dieser Bedingungslosigkeit, den Tag derart hochtourig zu begehen. Nachmittags und besonders abends funktionieren wir als Paar am Besten.

Manch großmäuliger Wichtigtuer und selbsternannter Experte für solche Belange behauptet, Glen sei ein klassischer Frauentyp, wir würden nicht zusammenpassen und ich verspiele damit meine Maskulinität. Da wir mit derartigen Kategorisierungen sowieso nichts anfangen können, lassen wir uns von solchem Dummgeschwätz nicht ablenken und halten uns und an uns fest, als gäbe es kein Morgen, keine Grenzen und keine Sorgen. Und diese, seine Leichtigkeit erfüllt mich mit Inspiration und Kreativität in mir bis dato unbekanntem Ausmaße.

Aber wie in jeder Liebesgeschichte kommt der Moment, an dem die rosarote Brille ihre Kraft verliert, der nächste Morgen ist gekommen und die Grenzen werden sichtbar und vielleicht sogar spürbar. Wir beide wissen, dass dies nur eine Verbindung auf Zeit sein kann, sein muss. Halten wir zu lange an uns fest, wird einer den anderen ins Verderben stürzen, ihn vernichten, nicht nur der Bedeutungslosigkeit preis geben, sondern im wahrsten Sinne des Wortes von dieser Welt tilgen. Was übrig bleibt, sind vage Erinnerungen an intime Momente. Erinnerungen, die von Tag zu Tag verblassen, bis eine neue Liebe die Farben wieder prächtig und prall erscheinen lässt und das momentane “wir” vollends ins ewige Nichts ergeht.
Noch versteckt sich die zerstörerische Kraft unserer Liebe in der Vertrautheit, die wir leben, und dem Vertrauen, das wir einander schenken. Die Flasche ist nicht mehr nur halb, sondern zu drei Vierteln geleert. Aber ich hatte Glück und konnte eine weitere der weltweit lediglich 216 Flaschen von Cadenhead's Glen Moray 21 Jahre aus einem Claret-Fass mit 55,4%vol. erstehen. So bleibt mir die Aussicht, zumindest noch einen ganzen Sommer lang zu lieben und geliebt zu werden und mit Glen auf ein schönes Leben anzustoßen. Und nach diesem Sommer? Geht die Suche weiter: Die Suche nach dem Whisky, der für 0,7 Liter lang, alle anderen Whisky in den Schatten stellt!

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