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Whisky&Sprachbretter

[ veröffentlicht am 05.06.2019 ]

Die wahren Erfinder des Whisky!

von Dominik Röttgers


Immer wieder entbrennt die Diskussion, wer den Whisky erfunden hat. Nicht nur zwischen Iren und Schotten selbst, insbesondere unter Enthusiasten für Irish Whiskey bzw. Scotch Whisky kommt dieser Frage Bedeutung zu. In einschlägigen Publikationen und Blogs findet sich immer häufiger die Einschätzung, dass es dieser Frage an Relevanz mangelt. Die Diskussion sorgt mehr für gelangweiltes Gähnen, denn für geistreichen Austausch. Im The Whisky Companion [1] präsentiert Tom Quinn einen möglichen Schlusspunkt der Debatte: Die Frage nach der Urheberschaft sei “pointless”, weil Schotten und Iren der selben Ethnie entstammen. Die geteilten historischen Wurzeln sind folglich einer gemeinsamen Innovation des uisge beatha gleichzusetzen. Dieser nett gemeinte Versuch eines Arguments mag am Kneipen-Tresen, umringt von Whisky-Interessierten ausreichen, um das Gespräch auf spannendere, entscheidendere Fragen des Lebens zu lenken. Sind jedoch Iren und/oder Schotten anwesend, darf mit Protest gerechnet werden.

Die gemeinsame Abstammung von den Skoten, einem von Irland aus das spätere Schottland besiedelnden, keltischen Volksstamm, liegt zu weit in der Vergangenheit, um sich über einem Glas Whisky (bzw. Whiskey) nicht doch genüsslich nationalem Wetteifern hinzugeben:

Erste Destilliergeräte – nach in primitiver Form seit der Jungsteinzeit angewandten Verfahren – werden vor über 5000 Jahren im persisch-arabischen Raum entwickelt. Und auch der Begriff „Alkohol“ stammt aus dem Arabischen. Die Verbreitung der Technologie über den Mittelmeerraum nach Irland und von dort nach Schottland ist als Prämisse weitestgehend akzeptiert und beschert den Iren eine vorteilhafte Ausgangsposition.
Des weiteren versuchen diese die Einführung der Destillation in Irland durch christliche Mönche im 5. Jh. – rund 200 Jahre früher als in Schottland – direkt mit ihrem Nationalheiligen und Schutzpatron St. Patrick zu verbinden. Diesen geradezu kühnen Einstieg mühelos ins Reich der Legenden verbannt, gehen Schotten unmittelbar zum Gegenangriff über. Selbst im Falle historischer Akkuratheit ziehe Irland den Kürzeren, schließlich sei St. Patrick schottischer Herkunft!

Unbeeindruckt dieses ersten kleinen Dämpfers bleiben die Iren zuversichtlich, da Destillate bei Arabern, Spaniern, usw. vorrangig im kosmetischen und medizinischen Bereich Anwendung finden, sie es aber sind, die das Potenzial der “reinen Substanz” als Getränk und Rauschmittel erkennen. Der auf der grünen Insel ab dem frühen 11. Jh. nachgewiesene Konsum von uisge beatha bzw. aqua vitae untermauert ihre Vorreiterrolle und lässt sie Oberwasser gewinnen. Allerdings schwächt die in den Quellen fehlende, konkrete Bezeichnung des Destillats als Getreidebrand die Argumentation der Iren, und eröffnet Schotten eine Möglichkeit, ihren Widersachern erneut das Wasser abzugraben.
Darüber hinaus bringen diese sich in Position durch königliche Steuerunterlagen von 1494, der ersten urkundlichen Erwähnung der Produktion von (Scotch!) Whisky. Doch bei den von Historikern so geschätzten, schriftlichen Überlieferungen ist die irische Seite nicht minder gut ausgestattet. Sowohl die älteste Lizenz zur Herstellung von Whisky – in der Grafschaft Bushmills – verbucht Irish Whiskey für sich. Als auch die älteste, lizenzierte Whisky-Brennerei liegt mit der Locke‘s/Kilbeggan Distillery in Irland.
Die Debatte, ob (und warum) die Bushmills oder die Kilbeggan Distillery letzteren Titel für sich reklamieren könne, verliert jüngsthin im irischen Lager deutlich an Aufmerksamkeit. Sie bietet der schottischen Seite in dieser Situation deshalb keinerlei Ansatzpunkte, um einen Keil in die (trans-)nationale Einheit der Irland-Vertreter zu treiben.

Scheinbar faktisch geschlagen, spielen die Schotten mit einem verschmitzten, den Triumph ahnenden Lächeln einen letzten Trumpf aus. Die Iren mögen den Whisky erfunden haben. Die Schotten haben ihn jedoch trinkbar gemacht:
Nicht nur die wirtschaftliche und kulturelle Vormachtstellung von Scotch Whisky gegenüber Irish Whiskey seit dem ersten Drittel des 20. Jh. wird ins Feld geführt. Vielmehr liefert die grüne Insel selbst das an dieser Stelle letztentscheidende Argument: 1780 eröffnet John Jameson in Dublin eine Brennerei mit dem Ziel, Irlands besten Whiskey herzustellen. Mit Erfolg, zumindest was Verkaufszahlen angeht. Jameson Whiskey ist der weltweit meist getrunkene Irish Whiskey. Warum diese Anekdote die schottische Whisky-Vorherrschaft untermauert? John Jameson ist – ein weiterer nach Irland emigrierter – Schotte!

So oder ähnlich wird diese Diskussion immer neu entfacht, angefeuert und trotz der Bemühungen gelangweilter Kritiker und Autorinnen vermutlich endlos fortgeführt.

Einen letzten Ausweg bietet die wohl effektivste Methode, Iren und Schotten in dieser (und beinahe jeder) Frage zu vereinen: das Bedienen ihrer geteilten, tief verwurzelten Abneigung gegenüber Engländern. Ungläubiges Staunen auf beiden Seiten, gar heftigen Widerspruch ruft die selbstsicher vorgetragene Erklärung hervor, dass ohne jeden Zweifel den Engländern als Erfindern des Whisky Ehre gebührt!
Es ist der Engländer (sic!) Samuel Johnson, der den Begriff „whisky“ 1755 in sein einflussreiches „A Dictionary of the English Language“ aufnimmt. Johnson gilt als expliziter Schotten-Hasser. Doch warum sollte ihm seine Abneigung der nördlichen Nachbarn dieses Wort verderben. Whisky ist Englisch! Als die Engländer um das Jahr 1170 Teile Irlands besetzen, ist der hochprozentige Brand sowohl dort, als auch in Schottland als uisge beatha geläufig. Aufgrund des den Engländern nachgesagten Mangels an Fremdsprachenkompetenz, vermutlich einhergehend mit übermäßigem Konsum des Lebenswassers, wandeln englische (sic!) Soldaten in guter Verballhornungstradition [2] uisge (beatha) zu: Whisky.

So entwickelt sich der aus einer öden, spröden Fachsimpelei am Tresen einer Whisky-Bar entstandene Streit zu einem unterhaltsamen Schlagabtausch und verbalem Spektakel, und ist am besten bequem ans Brett gelehnt, mit einem wee dram in der Hand zu genießen.

Ob mit Whisky oder Whiskey ist dann wieder egal. Hauptsache die Cola ist ordentlich gekühlt!

Whisky& | Dominik Röttgers | Infotastement


[1] Quinn, Tom (Hrsg.). (2005). The Whisky Companion. London: Think Publishing. ISBN 1-84525-011-7
[2] vgl. Sherry aus Jerez: FridayFunFact #21 (Whisky&Sprachfehler)




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