Titel: Hier kotzte Goethe Martinianum Tübingen März 2016Hier kotzte Goethe Martinianum Tübingen März 2016 [Ausschnitt]   Urheber: Felix König (Eigenes Werk)   Quelle: commons.wikimedia.org   Lizenz: cc by 3.0

Whisky&Weckdienst

[ veröffentlicht am 27.03.2018 ]

Von Zechprellern und Fernbeziehungen

von Dominik Röttgers

“Oh! Wow! Whisky! Davon hab' ich ja so gar keine Ahnung.” Das ist eine wiederkehrende Reaktion, wenn ich meine Arbeit erwähne. Aber locker bleiben! Ahnung habe ich erst einmal auch keine. Denn um was geht es hier eigentlich?
Natürlich kann ich Menschen dreieinhalb Stunden ohne Pause vollquatschen über diese und jene limitierte Abfüllung, Gründungsdaten von Brennereien um mich schleudern, von Whisky-Wirtschaftskrisen und -booms sinnieren sowie die ein oder andere lustige Anekdote von anno dazumal zum Besten geben. Mit theoretischem Hintergrundwissen glänzen ist keine hohe Kunst. Das ist mein Job. Vielmehr geht es doch um subjektive Geschmackserlebnisse, die zu individuellen Geschmackserfahrungen führen. Und dabei gibt es immer nur eine Person, die Expertenstatus beanspruchen kann: diese Person selbst!
Das Entscheidende ist nicht, sich mit Fachpersonal messen zu können, das seit Jahren und tagtäglich über Whisky liest, schreibt, spricht und entsprechend viel davon trinkt. Was zählt ist, den ersten Schritt zu gehen, die Reise anzutreten, anstatt im altgewohnten Sessel zu versinken und die altbekannten Spirituosen um sich zu scharen. (Vgl. An die Whisky-Neugierigen)

Meine ersten ernsthaften Berührungspunkte mit meinem heutigen (alkoholischen) Lieblingsgetränk habe ich während des Studiums. Wie das Wetter ist, spielt keine Rolle. Käthe hat Dienst im Boulanger. In einer der ältesten Kneipen Tübingens (seit ca. 1782) haben schon Hegel, Schelling und Hölderlin gezecht – und mutmaßlich die Zeche geprellt. Nicht weit entfernt soll Goethe mal gekotzt haben. Das bleibt mir an diesem Abend erspart, unter Anderem weil der Wirt Andi ein für Anfänger ausgezeichnetes Whisky-Sortiment anbietet. Allein die Tatsache, dass der Whisky auf einer separaten Karte aufgelistet ist, steigert die Verlockung. Neben der Zuordnung nach Whisky-Regionen gibt es zu jedem schottischen Single Malt eine Beschreibung von Duft, Geschmack und Abgang. So komme ich in den Genuss meines ersten, spontanen Blind-Tastings. Käthe stellt uns drei Whisky der mittleren Preisklasse auf den Tisch und los geht die Suche nach Lederpolitur, Dieselöl oder Nadelwald in der Nase, frischer Johannisbeere, Vanille oder Gewürzen im Mund und Zimt, Ingwer oder bitter-süßer Kaffeenote im Nachklang. Natürlich kann ich nicht alles sensorisch nachvollziehen. Aber das Interesse ist geweckt.
Die finanzielle Situation verhindert selbstredend ein direktes, intensives Einsteigen in die Materie. Das Bafög wird ja für die Miete überwiesen und nicht den Suff. Also schnell in ein kleineres Zimmer innerhalb der WG umziehen und schon entsteht Spielraum. Die Wodka-, Tequilla- und sonstigen Shots schmecken auf feucht-fröhlichen Studi-Parties auch immer weniger.
Durch Fernbeziehungen und damit verbundene Aufenthalte im Duty-Free-Bereich auf Flughäfen und Fähren entsteht langsam eine kleine Haus-Bar, die sich auch heute noch sehen lassen könnte. Zugegeben, die ersten Probefläschchen von Einzelfassabfüllungen bereits geschlossener Brennereien laufen unter dem Motto “Perlenketten vor die Sau”.
Nach dem Ende des Studiums in Berlin angekommen gehe ich die Sache systematisch an. Verschiedene Altersstufen von Whisky aus einer Brennerei geben beispielsweise einen guten Eindruck, was der Reifungsprozess im Fass über die Jahre bewirkt. Ein bisschen Fachliteratur schadet nicht. Vor allem aber der Besuch von Verkostungen, das gediegene Trinken in lockerer Atmosphäre mit semi-wissenschaftlichem Anspruch, lässt den Knoten platzen und zieht mich vollends in den Bann des “flüssigen Sonnenscheins” (G. B. Shaw). Im von meiner damaligen Wohnung nächstgelegenen Whisky-Laden zum Stammkunden mutiert, nach einigen Schottland-Aufenthalten und auf Job-Suche werde ich Mitarbeiter in eben diesem Laden. Kurze Zeit und ein Praktikum in den Brennereien Springbank und Glengyle später halte ich Vorträge und leite Verkostungen – durchschnittlich ein Tasting alle 14 Tage. Inzwischen habe ich mich mit meinen Infotastement-Veranstaltungen[1] und Whisky-Verkauf selbständig gemacht.

Und trotzdem: So sehr ich mich bemühe, bei Beratungen kann ich immer nur aus meinem eigenen geschmacklichen Erfahrungsschatz schöpfen und aufgrund allgemeiner, technischer, doch stets theoretischer Parameter versuchen einzugrenzen, welcher Whisky dem Kundenwunsch am ehesten entspricht. Der Kunde mag König sein. Er ist vor allem Herr über den eigenen Geschmack. Und Kundinnen, die offen und ehrlich berichten, warum die letzte Flasche nicht den Erwartungen entsprochen hat, erleichtern es mir enorm, dieses Mal einen passenderen Whisky zu empfehlen!
Die Zeche im Boulanger hatte ich natürlich direkt bezahlt. Schließlich komme ich gerne wieder! Die Fernbeziehungen sind längst in die Brüche gegangen. Doch die Leidenschaft für den im Fass gereiften Getreideschnaps ist ungebrochen und wächst unaufhörlich. Inzwischen geht es soweit, dass ich Texte über meine Whisky-Erfahrungen auf meinem eigenen Whisky-Blog veröffentliche.

Whisky& | Dominik Röttgers | Infotastement

[1] Aktuelle Infotastement-Veranstaltungen unter Zukünftiges
Buchungsanfragen über whiskyund@infotastement.de




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